Sachverhalt / Begründung:
Der Rat hat in seiner Sitzung vom 28.03.2019 beschlossen, die Straßenausbaubeitragssatzung nicht aufzuheben. In Rahmen der damaligen Diskussion wurde u.a. auf eine bevorstehende Änderung des Niedersächsischen Kommunalabgabengesetzes verwiesen. Diese Vorlage soll über diese Gesetzesänderung und die zwischenzeitlich ergangene Rechtsprechung zu den Themen Abschaffung der Straßenausbaubeiträge und Einführung wiederkehrender Beiträge informieren.
Landesgesetzgebung –
Änderung des Kommunalabgabengesetzes (NKAG)
Anders als in anderen Bundesländern hat der Landesgesetzgeber in Niedersachsen entschieden, an dem geltenden Straßenausbaubeitragsrecht grundsätzlich festzuhalten, dieses aber zu ändern. Im Namen seines Änderungsgesetzes vom 24. Oktober 2019 wird als Ziel dieses Gesetzes ausdrücklich die „Flexibilisierung von Straßenausbaubeiträgen“ angegeben.
Diese Flexibilisierung erfolgt nach dem Inhalt des neu in das Kommunalabgabengesetz eingefügten § 6b in drei rechtslogisch aufeinander folgenden Schritten.
In einem ersten Schritt geht es um Maßnahmen vor der Durchführung des beitragsfähigen Ausbaus einer Verkehrsanlage; die Beitragspflichtigen sollen möglichst frühzeitig über Einzelheiten eines solchen Ausbaus informiert werden.
Die Beitragspflichtigen können in einem zweiten Schritt sowohl durch eine direkte Reduzierung des beitragsfähigen Aufwands als auch im Zusammenhang mit der Anrechnung der Zuschüsse Dritter entlastet werden.
Durch besondere Vorschriften schließlich soll in einem dritten Schritt eine wirtschaftliche Überforderung der Beitragspflichtigen vermieden werden, bei denen die Begleichung des auf sie entfallenden Beitrags finanzielle Schwierigkeiten begründen kann.
Bestimmungen zur
Information vor Durchführung eines beitragsfähigen Ausbaus
Gemäß § 6b Abs. 3 Satz 1 NKAG sollen die Gemeinden die voraussichtlich Beitragspflichtigen möglichst frühzeitig in ihre Planungen einbinden. Dazu sieht das Gesetz ein zweistufiges Verfahren vor: Auf der ersten Stufe (§ 6 b Abs. 3 Satz 1 NKAG) geht es um eine frühzeitige Information dieses Personenkreises. Gegenstand einer solchen Information sind
- die Vorlage der Planungen über die beabsichtigte beitragsfähige Maßnahme an einer bestimmten beitragsfähigen öffentlichen Verkehrsanlage,
- das Verfahren einer Beitragserhebung einschließlich in Betracht kommender Billigkeitsmaßnahmen.
Sobald sich diese Planungen verdichtet haben, schließt sich die zweite Stufe (§ 6b Abs. 3 Satz 2 NKAG) an. Spätestens drei Monate vor Beginn der Durchführung der beabsichtigten beitragsfähigen Ausbaumaßnahme ist dem gleichen Personenkreis mitzuteilen
- die vorläufige Höhe des beitragsfähigen Aufwands,
- die Höhe des voraussichtlich auf jeden Einzelnen von ihnen entfallenden Beitrags,
- für den Fall, dass die Gemeinde Vorausleistungen erheben will, die voraussichtliche Höhe der künftigen Vorausleistung.
Vorschriften zur
Entlastung der Beitragspflichtigen
§ 6b Abs. 1 Satz 1 NKAG erlaubt den Gemeinden, durch Satzung für Verkehrsanlagen
zu bestimmen, dass der Bemessung der Beiträge nach Vorteilen nur ein Teil
des gemäß § 6 Abs. 3 NKAG ermittelten Aufwands zugrunde gelegt wird. Die
Gemeinde hat also bereits vor der Festlegung des von ihr zu tragenden
Gemeindeanteils, der sich nach der jeweiligen Straßenklasse richtet
(Anliegerstraße, Haupterschließungsstraßen, Hauptverkehrsstraße), die
Möglichkeit, zu ihren Lasten Teile des Aufwands nicht zu berücksichtigen.
Es handelt sich hierbei um eine freie
Ermessensentscheidung der Gemeinde. Fraglich ist dabei, inwieweit das freie
Ermessen der Gemeinde bei der Festlegung des Teils des Aufwandes eingeschränkt
sein könnte. Der Grundsatz der Belastungsgleichheit etwa könnte dem
entgegenstehen. Werden Beiträge erhoben, verlangt Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz,
dass die Differenzierung zwischen Beitragspflichtigen und nicht
Beitragspflichtigen nach Maßgabe des Vorteils vorgenommen wird, dessen
Nutzungsmöglichkeit mit dem Beitrag abgegolten werden soll. Genau diese
Differenzierung erfolgt aber bereits schon jetzt über die Festlegung des
Gemeindeanteils, der in seiner Höhe zielgerichtet nach Straßenklassen
unterscheidet, womit sich die Allgemeinheit an den Kosten einer Hauptverkehrsstraße
folgerichtig stärker beteiligt als an denen einer Anliegerstraße. Eine (zu
starke) Verschiebung zu Lasten der Allgemeinheit könnte daher gegen den
Grundsatz der Belastungsgleichheit verstoßen.
Fraglich wird zudem sein, ob
haushaltsrechtliche Gründe zu einer Einschränkung des Ermessens führen (siehe
hierzu auch die später vorgestellte Entscheidung des OVG Lüneburg v.
22.07.2020).
In den verfügbaren Unterlagen über die
Beratungen zu dieser Gesetzesänderung finden sich keinerlei Hinweise darauf,
dass sich der Gesetzgeber über diese Fragen Gedanken gemacht hat. Die
Diskussion in den Kommunen zeigt jedoch, dass die Frage, was und wie der „Teil“
des beitragsfähigen Aufwands zu verstehen ist, deutlich unterschiedlich
beantwortet werden kann. Vorstellbar sind Differenzierungen in jeglicher
Hinsicht, wie z.B. nach der jeweils abzurechnenden Anlage, dem Straßentyp, nach
Teileinrichtungen oder nach bestimmten Kosten.
§ 6 Abs. 5 Satz 5 NKAG ordnet an, Zuschüsse
Dritter seien, soweit der Zuschussgeber nichts anderes bestimmt hat, zunächst
zur Deckung des Gemeindeanteils zu verwenden. Von dieser gesetzlichen
Regel-Anordnung können Gemeinden gemäß § 6b Abs. 1 Satz 2 NKAG nunmehr dadurch
abweichen, dass sie in ihrer Satzung regeln, Zuschüsse Dritter seien nicht vom
Gemeindeanteil, sondern vom gesamten beitragsfähigen Aufwand abzuziehen. Auf
diese Weise wird die einseitige Begünstigung der Gemeinde durch Zuschüsse
Dritter beseitigt und ersetzt durch eine Regelung, nach der solche Zuschüsse
zur Deckung anteilig sowohl des Gemeindeanteils als auch des Anliegeranteils
zu verwenden sind.
Regelungen zur Vermeidung einer wirtschaftlichen Überforderung von
Beitragspflichtigen
- Tiefenbegrenzung und
Eckgrundstücksvergünstigung
§ 6b Abs. 2 NKAG erlaubt, dass zur Reduzierung der für die Beitragshöhe unter anderem maßgebenden Grundstücksgröße eine (satzungsmäßige) Tiefenbegrenzung festgelegt wird. Das entspricht der geltenden Rechtslage. Die Satzungen der meisten Gemeinden enthalten bereits heute eine Tiefenbegrenzung, um die Abgrenzung zwischen Innen- und Außenbereich zu erleichtern. Der Gesetzgeber scheint hier aber eine andere Tiefenbegrenzung zu meinen. Allerdings hat er versäumt, Hinweise zu geben für die Beantwortung der eigentlich interessanten Fragen, – erstens – nach dem Anwendungsbereich einer solchen Satzungsregelung, – zweitens – nach der Methode zur richtigen Ermittlung der Tiefengrenze und – drittens – nach dem Verhältnis zwischen einer satzungsmäßigen Tiefengrenze und der in einer Satzung nach § 34 Abs. 4 BauGB gezogenen Grenze.
Auch die in § 6b Abs. 2 NKAG angesprochene Befugnis, eine Eckgrundstücksvergünstigung in die Satzung aufzunehmen, entspricht der bisherigen Rechtslage, kann also wohl nur als Klarstellung verstanden werden. Jedoch wäre insoweit ein Hinweis des Gesetzgebers unter anderem dazu wünschenswert gewesen, ob eine Eckgrundstücksvergünstigung einzig zu Lasten der Gemeinde oder ob und gegebenenfalls inwieweit eine solche Vergünstigung zu Lasten der Nichteckgrundstücke zulässig ist, wie im Erschließungsbeitragsrecht. - Verrentung
Nach § 6b Abs. 4 Satz 1 NKAG „kann“ die Gemeinde zulassen, dass der Beitrag in Form einer Rente in bis zu 20 Jahresleistungen gezahlt wird. Wie die gewählte Formulierung deutlich macht, ist die Gemeinde zur Einräumung einer Verrentung nicht verpflichtet, vielmehr steht die Gewährung einer solchen Zahlungserleichterung im Ermessen der Gemeinde. Eine Verrentung ist nur auf einen entsprechenden Antrag hin zulässig; der Antrag muss vor Fälligkeit des Beitrags gestellt werden (6b Abs. 4 Satz 2 NKAG). Anders als eine Verrentung nach § 135 Abs. 2 BauGB und nach § 11 Abs. 1 Nr. 5 a AO in Verbindung mit § 222 AO ist eine Verrentung nach § 6b Abs. 4 NKAG nicht vom Vorliegen einer unbilligen bzw. erheblichen Härte abhängig, kommt also voraussetzungslos, also ohne materiell-rechtliche Voraussetzungen zur Schonung eines Beitragspflichtigen in Betracht. § 6b Abs. 4 NKAG stellt der Gemeinde frei, eine Verzinsung des jeweiligen Restbetrags der Beitragsschuld zu verlangen. Nach dem Gesetz „kann“ sie eine Verzinsung fordern; wenn sie eine Verzinsung verlangt, darf sie Zinsen in Höhe von höchstens bis zu drei Prozent über dem zu Beginn des Jahres geltenden Basiszinssatz nach § 247 BGB festsetzen (§ 6b Abs. 4 Satz 5 NKAG).
Neufassung der Straßenausbaubeitragssatzung
Falls die Stadt Bramsche bei der Bemessung
der Beiträge nur einen Teil des ermittelten Aufwandes zugrunde legen möchte,
müsste das durch Satzung bestimmt werden. Wie zuvor schon dargelegt, sind in
diesem Zusammenhang allerdings noch so viele Punkte ungeklärt bzw. unklar, dass
aktuell kein seriöser Satzungsentwurf vorgelegt werden kann.
Vorschriften zur Entlastung der
Beitragspflichten und Regelungen zur Vermeidung wirtschaftlicher Überforderung
müssten in die Satzung aufgenommen werden. Derzeit sind der Anwendungsbereich
der Tiefenbegrenzung und die Methode, wie diese richtig zu ermitteln ist,
allerdings völlig unklar. Das OVG Lüneburg stellt bei der Frage, ob das ganze
Grundstück oder nur Teile davon bevorteilt sind, maßgeblich auf das
Vorteilsprinzip und den Grundsatz der Beitragsgerechtigkeit ab. Eine pauschale
Tiefenbegrenzung im Innenbereich, losgelöst von der Frage, bis zu welcher Tiefe
die abzurechnende Straße von dem jeweiligen Grundstück aus in Anspruch genommen
wird, dürfte daher unzulässig sein.
Der Nds. Städte- und Gemeindebund und der
Nds. Städtetag verzichten in ihrer Mustersatzung vorerst auf eine
Tiefenbegrenzung, weil die neue Rechtslage auch nach deren Ansicht noch ungeklärt
ist.
Insgesamt kann die neue Rechtslage in Teilen nur als unsicher bzw. unklar bezeichnet werden. Rechtsprechung hierzu gibt es noch nicht, die Kommunalen Spitzenverbände sind in dieser Hinsicht keine Hilfe und Fortbildungsveranstaltungen finden derzeit nicht statt. Die Neufassung der Satzung wird daher noch etwas Zeit in Anspruch nehmen.
Wegweisende
Entscheidungen des OVG Lüneburg
Abschaffung der
Straßenausbaubeiträge:
Der Rat der Stadt
Laatzen hatte die Aufhebung der Straßenausbaubeitragssatzung beschlossen, bei
gleichzeitiger Erhöhung der Grundsteuer. Die Kommunalaufsicht beanstandete das
und ordnete die sofortige Vollziehung der Beanstandung an. Die Stadt Laatzen
hat daraufhin die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer gegen die
Beanstandung eingelegten Klage beantragt. Das OVG lehnte diesen Antrag ab (OVG
Lüneburg 10. Senat, Beschluss vom 22.07.2020, 10 ME 129/20).
Zur Begründung
führte das Gericht u.a. an:
·
Es ist
Gemeinden verwehrt, Straßenbaumaßnahmen über Investitionskredite zu
finanzieren, wenn eine Finanzierung über Straßenausbaubeiträge möglich ist.
·
Soll
eine Kompensation über eine Erhöhung der Grundsteuer erreicht werden, spricht
vieles dafür, zu fordern, dass diese Mehreinnahmen überhaupt für die
Investitionstätigkeit verwendet werden dürfen, was wiederrum voraussetzen
dürfte, dass ein positiver Saldo der Zahlungen aus laufender
Verwaltungstätigkeit erreicht wird.
Auch wenn die finanzielle Situation der Stadt Laatzen ungleich
dramatischer ist als die der Stadt Bramsche, so würden die vom Gericht
genannten Grundsätze in den kommenden Jahren wohl auch der Stadt Bramsche nicht
erlauben, ihre Straßenausbaubeitragssatzung aufzuheben, selbst wenn eine
Kompensation über eine Erhöhung der Grundsteuer erfolgt, denn sie wird
voraussichtlich Investitionskredite aufnehmen und keinen positiven Saldo der
Zahlungen aus laufender Verwaltungstätigkeit erreichen.
Diese Annahme steht jedoch unter dem Vorbehalt, dass die Stadt Laatzen,
wie sie mitteilt, an ihrer Klage festhalten wird. Der Ausgang des
Hauptverfahrens sollte daher vor einer abschließenden Bewertung abgewartet
werden.
Wiederkehrende Beiträge als Alternative zu einmaligen
Straßenausbaubeiträgen:
Der 9. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts hat mit Urteil
vom 16. Dezember 2020 in einem Normenkontrollverfahren die am 21. Juni 2018
beschlossene Satzung der Stadt Springe über die Erhebung von wiederkehrenden
Beiträgen für straßenbauliche Maßnahmen für unwirksam erklärt (Az.: 9 KN
160/18).
Als erste Kommune in Niedersachsen hat die Stadt Springe die Einführung
der wiederkehrenden Beiträge rückwirkend zum 1. Januar 2018 beschlossen. Die
Einführung ging mit enormem Verwaltungsaufwand einher.
Das Stadtgebiet von Springe besteht aus der Kernstadt und elf
Ortschaften. Das Gemeindegebiet umfasst ca. 160 km² und die Einwohnerzahl liegt
bei ca. 30.000. Die Stadt hat in ihrer Satzung 17 Abrechnungseinheiten
gebildet. Sie erhebt für den jährlichen Investitionsaufwand, der in der jeweiligen
Abrechnungseinheit z. B. für die Verbesserung oder Erneuerung der dort
befindlichen Verkehrsanlagen entsteht, wiederkehrende Beiträge, deren konkrete
Höhe sich erst aus dem Beitragsbescheid ergibt. Daneben erhebt sie für Straßen,
die keiner Abrechnungseinheit zugeordnet sind, weiterhin einmalige
Straßenausbaubeiträge.
Der Antragsteller ist Eigentümer eines bebauten Grundstücks in der
Abrechnungseinheit „Bennigsen West“ und wurde auf der Grundlage der
angegriffenen Satzung mit einem Bescheid aus dem Jahr 2020 zu wiederkehrenden
Beiträgen für das Jahr 2018 in Höhe von rd. 1.500 EUR herangezogen.
Der 9. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts hat die
Satzung der Stadt Springe über die Erhebung von wiederkehrenden Beiträgen für
unwirksam erklärt. Die Satzung verstoße aus mehreren Gründen gegen Vorschriften
des Niedersächsischen Kommunalabgabengesetzes. Zwar sei die Erhebung
wiederkehrender Straßenausbaubeiträge in Niedersachsen grundsätzlich
verfassungsgemäß und auch ein Nebeneinander von einmaligen und wiederkehrenden
Beiträgen in derselben Kommune sei nicht zu beanstanden. Es fehle aber an einer
rechtsverbindlichen Festlegung der Abrechnungseinheiten in der Satzung.
Außerdem sei die in einem anliegenden Plan dargestellte Bildung der Abrechnungseinheiten
bzw. -gebiete nicht hinreichend bestimmt.
Da Springe in maßgeblichen Punkten (Fläche, Einwohnerzahl,
Siedlungsstruktur) mit Bramsche vergleichbar ist, bestärkt diese Entscheidung die
Verwaltung in ihrer Auffassung, dass wiederkehrende Beiträge für Bramsche keine
geeignete Alternative zu einmaligen Straßenausbaubeiträgen darstellen.