Betreff
Sachstand Straßenausbaubeiträge
Vorlage
WP 16-21/0940
Aktenzeichen
60-20-08
Art
Mitteilungsvorlage

Sachverhalt / Begründung:

Der Rat hat in seiner Sitzung vom 28.03.2019 beschlossen, die Straßenausbaubeitragssatzung nicht aufzuheben. In Rahmen der damaligen Diskussion wurde u.a. auf eine bevorstehende Änderung des Niedersächsischen Kommunalabgabengesetzes verwiesen. Diese Vorlage soll über diese Gesetzesänderung und die zwischenzeitlich ergangene Rechtsprechung zu den Themen Abschaffung der Straßenausbaubeiträge und Einführung wiederkehrender Beiträge informieren.

 

Landesgesetzgebung – Änderung des Kommunalabgabengesetzes (NKAG)

Anders als in anderen Bundesländern hat der Landesgesetzgeber in Niedersachsen entschieden, an dem geltenden Stra­ßenausbaubeitragsrecht grundsätzlich festzuhalten, dieses aber zu ändern. Im Namen seines Änderungsgesetzes vom 24. Oktober 2019 wird als Ziel dieses Gesetzes ausdrücklich die „Fle­xibilisierung von Straßenausbaubeiträ­gen“ angegeben.

 

Diese Flexibilisierung erfolgt nach dem Inhalt des neu in das Kommunal­abgabengesetz eingefügten § 6b in drei rechtslogisch aufeinander folgenden Schritten.

 

In einem ersten Schritt geht es um Maßnahmen vor der Durchfüh­rung des beitragsfähigen Ausbaus einer Verkehrsanlage; die Beitragspflichti­gen sollen möglichst frühzeitig über Einzelheiten eines solchen Ausbaus informiert werden.

 

Die Beitragspflich­tigen können in einem zweiten Schritt sowohl durch eine direkte Reduzierung des beitragsfähigen Aufwands als auch im Zusammenhang mit der Anrechnung der Zuschüsse Dritter entlastet werden.

 

Durch besondere Vorschriften schließ­lich soll in einem dritten Schritt eine wirtschaftliche Überforde­rung der Beitragspflichtigen vermieden werden, bei denen die Begleichung des auf sie entfallenden Beitrags finanzielle Schwierigkeiten begründen kann.

 

Bestimmungen zur Information vor Durchführung eines beitragsfähigen Ausbaus

Gemäß § 6b Abs. 3 Satz 1 NKAG sol­len die Gemeinden die voraussicht­lich Beitragspflichtigen möglichst frühzeitig in ihre Planungen einbinden. Dazu sieht das Gesetz ein zweistufiges Verfahren vor: Auf der ersten Stufe (§ 6 b Abs. 3 Satz 1 NKAG) geht es um eine frühzeitige Information dieses Personenkreises. Gegenstand einer sol­chen Information sind

  1. die Vorlage der Planungen über die beab­sichtigte beitragsfähige Maßnahme an einer bestimmten beitragsfähigen öffentlichen Verkehrsanlage,
  2. das Verfahren einer Beitragserhebung ein­schließlich in Betracht kommender Bil­ligkeitsmaßnahmen.

 

Sobald sich diese Planungen verdichtet haben, schließt sich die zweite Stufe (§ 6b Abs. 3 Satz 2 NKAG) an. Spätestens drei Monate vor Beginn der Durchführung der beab­sichtigten beitragsfähigen Ausbaumaß­nahme ist dem gleichen Personenkreis mitzuteilen

  1. die vorläufige Höhe des beitragsfähigen Aufwands,
  2. die Höhe des voraussichtlich auf jeden Einzelnen von ihnen entfal­lenden Beitrags,
  3. für den Fall, dass die Gemeinde Voraus­leistungen erheben will, die voraus­sichtliche Höhe der künftigen Voraus­leistung.

 

Vorschriften zur Entlastung der Beitragspflichtigen

§ 6b Abs. 1 Satz 1 NKAG erlaubt den Gemeinden, durch Satzung für Ver­kehrsanlagen zu bestimmen, dass der Bemessung der Beiträge nach Vorteilen nur ein Teil des gemäß § 6 Abs. 3 NKAG ermittelten Aufwands zugrunde gelegt wird. Die Gemeinde hat also bereits vor der Festlegung des von ihr zu tragenden Gemeindeanteils, der sich nach der jeweiligen Straßenklasse richtet (Anliegerstraße, Haupterschließungsstraßen, Hauptverkehrsstraße), die Möglichkeit, zu ihren Lasten Teile des Aufwands nicht zu berücksichtigen.

Es handelt sich hierbei um eine freie Ermessensentscheidung der Gemeinde. Fraglich ist dabei, inwieweit das freie Ermessen der Gemeinde bei der Festlegung des Teils des Aufwandes eingeschränkt sein könnte. Der Grundsatz der Belastungsgleichheit etwa könnte dem entgegenstehen. Werden Beiträge erhoben, verlangt Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz, dass die Differenzierung zwischen Beitragspflichtigen und nicht Beitragspflichtigen nach Maßgabe des Vorteils vorgenommen wird, dessen Nutzungsmöglichkeit mit dem Beitrag abgegolten werden soll. Genau diese Differenzierung erfolgt aber bereits schon jetzt über die Festlegung des Gemeindeanteils, der in seiner Höhe zielgerichtet nach Straßenklassen unterscheidet, womit sich die Allgemeinheit an den Kosten einer Hauptverkehrsstraße folgerichtig stärker beteiligt als an denen einer Anliegerstraße. Eine (zu starke) Verschiebung zu Lasten der Allgemeinheit könnte daher gegen den Grundsatz der Belastungsgleichheit verstoßen.

Fraglich wird zudem sein, ob haushaltsrechtliche Gründe zu einer Einschränkung des Ermessens führen (siehe hierzu auch die später vorgestellte Entscheidung des OVG Lüneburg v. 22.07.2020).

 

In den verfügbaren Unterlagen über die Beratungen zu dieser Gesetzesänderung finden sich keinerlei Hinweise darauf, dass sich der Gesetzgeber über diese Fragen Gedanken gemacht hat. Die Diskussion in den Kommunen zeigt jedoch, dass die Frage, was und wie der „Teil“ des beitragsfähigen Aufwands zu verstehen ist, deutlich unterschiedlich beantwortet werden kann. Vorstellbar sind Differenzierungen in jeglicher Hinsicht, wie z.B. nach der jeweils abzurechnenden Anlage, dem Straßentyp, nach Teileinrichtungen oder nach bestimmten Kosten.  

 

§ 6 Abs. 5 Satz 5 NKAG ordnet an, Zuschüsse Dritter seien, soweit der Zuschussgeber nichts anderes bestimmt hat, zunächst zur Deckung des Gemeindeanteils zu verwenden. Von dieser gesetzlichen Regel-Anordnung können Gemeinden gemäß § 6b Abs. 1 Satz 2 NKAG nunmehr dadurch abwei­chen, dass sie in ihrer Satzung regeln, Zuschüsse Dritter seien nicht vom Gemeindeanteil, son­dern vom gesamten beitragsfähigen Aufwand abzuziehen. Auf diese Weise wird die einseitige Begünstigung der Gemeinde durch Zuschüsse Dritter beseitigt und ersetzt durch eine Regelung, nach der solche Zuschüsse zur Deckung anteilig sowohl des Gemein­deanteils als auch des Anliegeran­teils zu verwenden sind.

 

Regelungen zur Vermeidung einer wirtschaftlichen Überforderung von Beitragspflichtigen

  1. Tiefenbegrenzung und Eckgrundstücksvergünstigung
    § 6b Abs. 2 NKAG erlaubt, dass zur Reduzierung der für die Beitragshöhe unter anderem maßgebenden Grund­stücksgröße eine (satzungsmäßige) Tiefenbegrenzung festgelegt wird. Das entspricht der geltenden Rechtsla­ge. Die Satzungen der meisten Gemeinden enthalten bereits heute eine Tiefenbegrenzung, um die Abgrenzung zwischen Innen- und Außenbereich zu erleichtern. Der Gesetzgeber scheint hier aber eine andere Tiefenbegrenzung zu meinen.   Allerdings hat er versäumt, Hinweise zu geben für die Beantwortung der eigentlich interes­santen Fragen, – erstens – nach dem Anwendungsbereich einer solchen Sat­zungsregelung, – zweitens – nach der Methode zur richtigen Ermittlung der Tiefengrenze und – drittens – nach dem Verhältnis zwischen einer satzungsmä­ßigen Tiefengrenze und der in einer Sat­zung nach § 34 Abs. 4 BauGB gezogenen Grenze.
    Auch die in § 6b Abs. 2 NKAG ange­sprochene Befugnis, eine Eckgrund­stücksvergünstigung in die Satzung aufzunehmen, entspricht der bishe­rigen Rechtslage, kann also wohl nur als Klarstellung verstanden wer­den. Jedoch wäre insoweit ein Hin­weis des Gesetzgebers unter anderem dazu wünschenswert gewesen, ob eine Eckgrundstücksvergünstigung einzig zu Lasten der Gemeinde oder ob und gegebenenfalls inwieweit eine solche Vergünstigung zu Lasten der Nichteck­grundstücke zulässig ist, wie im Erschließungsbeitragsrecht.
  2. Verrentung
    Nach § 6b Abs. 4 Satz 1 NKAG „kann“ die Gemeinde zulassen, dass der Beitrag in Form einer Rente in bis zu 20 Jahresleistungen gezahlt wird. Wie die gewählte Formulierung deutlich macht, ist die Gemeinde zur Einräumung einer Verrentung nicht verpflichtet, vielmehr steht die Gewährung einer solchen Zahlungserleichterung im Ermessen der Gemeinde. Eine Verrentung ist nur auf einen entsprechenden Antrag hin zulässig; der Antrag muss vor Fälligkeit des Beitrags gestellt werden (6b Abs. 4 Satz 2 NKAG). Anders als eine Verren­tung nach § 135 Abs. 2 BauGB und nach § 11 Abs. 1 Nr. 5 a AO in Verbindung mit § 222 AO ist eine Verrentung nach § 6b Abs. 4 NKAG nicht vom Vorliegen einer unbilligen bzw. erheblichen Härte abhängig, kommt also voraussetzungs­los, also ohne materiell-rechtliche Voraussetzungen zur Schonung eines Beitragspflichtigen in Betracht. § 6b Abs. 4 NKAG stellt der Gemeinde frei, eine Verzinsung des jeweiligen Restbetrags der Beitrags­schuld zu verlangen. Nach dem Gesetz „kann“ sie eine Verzinsung fordern; wenn sie eine Verzinsung verlangt, darf sie Zinsen in Höhe von höchstens bis zu drei Prozent über dem zu Beginn des Jahres geltenden Basis­zinssatz nach § 247 BGB festsetzen (§ 6b Abs. 4 Satz 5 NKAG).

 

Neufassung der Straßenausbaubeitragssatzung

Falls die Stadt Bramsche bei der Bemessung der Beiträge nur einen Teil des ermittelten Aufwandes zugrunde legen möchte, müsste das durch Satzung bestimmt werden. Wie zuvor schon dargelegt, sind in diesem Zusammenhang allerdings noch so viele Punkte ungeklärt bzw. unklar, dass aktuell kein seriöser Satzungsentwurf vorgelegt werden kann.

 

Vorschriften zur Entlastung der Beitragspflichten und Regelungen zur Vermeidung wirtschaftlicher Überforderung müssten in die Satzung aufgenommen werden. Derzeit sind der Anwendungsbereich der Tiefenbegrenzung und die Methode, wie diese richtig zu ermitteln ist, allerdings völlig unklar. Das OVG Lüneburg stellt bei der Frage, ob das ganze Grundstück oder nur Teile davon bevorteilt sind, maßgeblich auf das Vorteilsprinzip und den Grundsatz der Beitragsgerechtigkeit ab. Eine pauschale Tiefenbegrenzung im Innenbereich, losgelöst von der Frage, bis zu welcher Tiefe die abzurechnende Straße von dem jeweiligen Grundstück aus in Anspruch genommen wird, dürfte daher unzulässig sein.

Der Nds. Städte- und Gemeindebund und der Nds. Städtetag verzichten in ihrer Mustersatzung vorerst auf eine Tiefenbegrenzung, weil die neue Rechtslage auch nach deren Ansicht noch ungeklärt ist.

 

Insgesamt kann die neue Rechtslage in Teilen nur als unsicher bzw. unklar bezeichnet werden. Rechtsprechung hierzu gibt es noch nicht, die Kommunalen Spitzenverbände sind in dieser Hinsicht keine Hilfe und Fortbildungsveranstaltungen finden derzeit nicht statt. Die Neufassung der Satzung wird daher noch etwas Zeit in Anspruch nehmen.

 

Wegweisende Entscheidungen des OVG Lüneburg

Abschaffung der Straßenausbaubeiträge:

Der Rat der Stadt Laatzen hatte die Aufhebung der Straßenausbaubeitragssatzung beschlossen, bei gleichzeitiger Erhöhung der Grundsteuer. Die Kommunalaufsicht beanstandete das und ordnete die sofortige Vollziehung der Beanstandung an. Die Stadt Laatzen hat daraufhin die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer gegen die Beanstandung eingelegten Klage beantragt. Das OVG lehnte diesen Antrag ab (OVG Lüneburg 10. Senat, Beschluss vom 22.07.2020, 10 ME 129/20).

 

Zur Begründung führte das Gericht u.a. an:

·       Es ist Gemeinden verwehrt, Straßenbaumaßnahmen über Investitionskredite zu finanzieren, wenn eine Finanzierung über Straßenausbaubeiträge möglich ist.

·       Soll eine Kompensation über eine Erhöhung der Grundsteuer erreicht werden, spricht vieles dafür, zu fordern, dass diese Mehreinnahmen überhaupt für die Investitionstätigkeit verwendet werden dürfen, was wiederrum voraussetzen dürfte, dass ein positiver Saldo der Zahlungen aus laufender Verwaltungstätigkeit erreicht wird.

 

Auch wenn die finanzielle Situation der Stadt Laatzen ungleich dramatischer ist als die der Stadt Bramsche, so würden die vom Gericht genannten Grundsätze in den kommenden Jahren wohl auch der Stadt Bramsche nicht erlauben, ihre Straßenausbaubeitragssatzung aufzuheben, selbst wenn eine Kompensation über eine Erhöhung der Grundsteuer erfolgt, denn sie wird voraussichtlich Investitionskredite aufnehmen und keinen positiven Saldo der Zahlungen aus laufender Verwaltungstätigkeit erreichen.

 

Diese Annahme steht jedoch unter dem Vorbehalt, dass die Stadt Laatzen, wie sie mitteilt, an ihrer Klage festhalten wird. Der Ausgang des Hauptverfahrens sollte daher vor einer abschließenden Bewertung abgewartet werden.

 

Wiederkehrende Beiträge als Alternative zu einmaligen Straßenausbaubeiträgen:

Der 9. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts hat mit Urteil vom 16. Dezember 2020 in einem Normenkontrollverfahren die am 21. Juni 2018 beschlossene Satzung der Stadt Springe über die Erhebung von wiederkehrenden Beiträgen für straßenbauliche Maßnahmen für unwirksam erklärt (Az.: 9 KN 160/18).

Als erste Kommune in Niedersachsen hat die Stadt Springe die Einführung der wiederkehrenden Beiträge rückwirkend zum 1. Januar 2018 beschlossen. Die Einführung ging mit enormem Verwaltungsaufwand einher.

Das Stadtgebiet von Springe besteht aus der Kernstadt und elf Ortschaften. Das Gemeindegebiet umfasst ca. 160 km² und die Einwohnerzahl liegt bei ca. 30.000. Die Stadt hat in ihrer Satzung 17 Abrechnungseinheiten gebildet. Sie erhebt für den jährlichen Investitionsaufwand, der in der jeweiligen Abrechnungseinheit z. B. für die Verbesserung oder Erneuerung der dort befindlichen Verkehrsanlagen entsteht, wiederkehrende Beiträge, deren konkrete Höhe sich erst aus dem Beitragsbescheid ergibt. Daneben erhebt sie für Straßen, die keiner Abrechnungseinheit zugeordnet sind, weiterhin einmalige Straßenausbaubeiträge.

Der Antragsteller ist Eigentümer eines bebauten Grundstücks in der Abrechnungseinheit „Bennigsen West“ und wurde auf der Grundlage der angegriffenen Satzung mit einem Bescheid aus dem Jahr 2020 zu wiederkehrenden Beiträgen für das Jahr 2018 in Höhe von rd. 1.500 EUR herangezogen.

Der 9. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts hat die Satzung der Stadt Springe über die Erhebung von wiederkehrenden Beiträgen für unwirksam erklärt. Die Satzung verstoße aus mehreren Gründen gegen Vorschriften des Niedersächsischen Kommunalabgabengesetzes. Zwar sei die Erhebung wiederkehrender Straßenausbaubeiträge in Niedersachsen grundsätzlich verfassungsgemäß und auch ein Nebeneinander von einmaligen und wiederkehrenden Beiträgen in derselben Kommune sei nicht zu beanstanden. Es fehle aber an einer rechtsverbindlichen Festlegung der Abrechnungseinheiten in der Satzung. Außerdem sei die in einem anliegenden Plan dargestellte Bildung der Abrechnungseinheiten bzw. -gebiete nicht hinreichend bestimmt.

 

Da Springe in maßgeblichen Punkten (Fläche, Einwohnerzahl, Siedlungsstruktur) mit Bramsche vergleichbar ist, bestärkt diese Entscheidung die Verwaltung in ihrer Auffassung, dass wiederkehrende Beiträge für Bramsche keine geeignete Alternative zu einmaligen Straßenausbaubeiträgen darstellen.